Eine anspruchsvolle Zeitreise in die späten 1950er Jahre

2016 lief die Erstausstrahlung von Ku’damm 56 im deutschen Fernsehen. Der Familiendrama-Dreiteiler nach der Idee und dem Drehbuch von Annette Hess fesselte ein Millionenpublikum an die TV-Geräte. 2018 wurde der Fernsehfilm mit der Trilogie Ku’damm 59 fortgesetzt und 2021 folgte mit der Trilogie Ku’damm 63 eine weitere Fortsetzung. 

Autorin Annette Hess hat gemeinsam mit Peter Plate und Ulf Leo Sommer den 3-Teiler als Bühnenversion adaptiert. KU'DAMM 56 - DAS MUSICAL feierte am 28. November 2021 im Berliner Theater des Westens, also um die Ecke des Kurfürstendamm endlich Premiere.

Die Geschichte spielt 1956 in der Berliner Tanzschule Gallant, die die konservative Catarina Schöllack (Katja Uhlig) beitreibt. Als alleinerziehende Mutter ist sie darum bemüht, ihre jungen Töchter gut zu verheiraten. Doch ihre Tochter Monika (Sandra Leitner) entspricht nicht der Norm und lässt sich vor allem nicht in das Frauenbild der Nachkriegszeit pressen. In diesem Umfeld werden die brisanten Themen aus dem Nachkriegsdeutschland angesprochen. Dazu zählen Spuren des Nationalsozialismus in der Gesellschaft, Sexualität sowie Geschlechterrollen im Wandel. 

Regisseur Christoph Drewitz erzählt die Geschichte von „Ku‘damm 56“ in einer temporeichen Inszenierung, die sich mit schnellen Wechseln über mehrere Ebenen erstreckt. Trotz der sehr anspruchsvollen Thematik, gibt es immer wieder unterhaltsame Passagen, vor allem wenn flotte Sprüche aus den 1960er Jahren geklopft werden. 

Peter Plate & Ulf Leo Sommer haben situationsbedingt die unterschiedlichsten Stile komponiert, darunter Rumba & Operette. Aber auch coole Pop-Nummern und zeitgemäßer Rock‘n‘Roll reißen mit, den die „Mutter Brause“-Band unter der Leitung von Caspar Hachfeld auf der Bühne performt. Die Lieder verstärken die Einblicke in die Gefühlswelt der Charaktere.

Die Ausstattung von Andrew D. Edwards ist sehr spartanisch, aber hierfür genau richtig. Er lässt den Cast in authentischen Kostümen auf einer leeren Bühne (mit bröckelndem Putz an den Wänden) sowie begehbaren Rigging-Ebenen das Familiendrama erzählen. Im Club sowie in Monikas Innenleben sorgt eine mit LED-Röhren ausgestattete absenkbare Decke für eindrucksvolle Momente. Lichtdesigner Tim Deiling unterstützt mit seinem Lichtkonzept jede Stimmung.

Musical mit Tiefgang und sehr guter Besetzung
Sandra Leitner ist als ‚Monika‘ zunächst unscheinbar, unsicher und ängstlich. Nachdem sie ihre Leidenschaft für den rebellischen Rock‘n‘Roll entdeckt, gewinnt sie an Selbstvertrauen und steht für sich sowie ihre Überzeugungen ein. Leitner wandelt sich hierfür überzeugend von einer grauen Maus zu einer selbstbestimmten Frau.

Nico Went ist als KZ-Überlebenden Freddy ein charismatischer Draufgänger, der den Rock‘n‘Roll verkörpert. Er kommandiert als Frontmann die Bühne, füllt die Rolle stimmlich entsprechend aus und überrascht mit ungehörten Variationen vor allem mit seiner Solonummer Berlin, Berlin.

Der Sohn des Waffenfabrikanten, Joachim Franck (Patrick Cieslik) kann das Geschäft seines patriarchischen Vaters (Rudi Reschke) nicht nachvollziehen. Ebenso wie Monika wird er dessen Ansprüchen nicht gerecht. Die Performance von Patrick Cieslik als Joachim Franck bleibt im Kopf, nicht nur durch den Song „Ich will nicht werden wie mein Vater“ und seine Vergewaltigung von Monika, die von ihrer Mutter Caterina in „Ich lass nicht zu, lässt du dich geh’n“ erstmal erklärt bekommt, wie’s im Leben läuft. Was von der wunderbaren Katja Uhlig, die zum Highlight der Produktion gehört, so nachdenklich wie bestimmt vorgetragen wird. Katja Uhlig führt als ‚Catarina Schöllack‘ ein strengkonservatives Regiment und gibt Gefühlen – geprägt von der Nachkriegszeit – kaum Raum. Umso eindrucksvoller sind Risse in dieser Schale. So auch der Zusammenbruch in ihrem nostalgischen, operettenartigen Solo „Früher“, den sie mit gekonnter Gesangstechnik intoniert.

Marlene Jubelius kommt als gutgläubige ‚Helga‘ mit ihren traditionellen Ansichten nach ihrer Mutter, wenngleich sie in der Rolle der Hausfrau noch überfordert wirkt. Ihr Song „Alles wird gut“ zeigt einmal mehr, wie kritische Themen damals (?) einfach übergangen oder überspielt wurden. Ihr Mann ‚Wolfgang‘ (Dennis Hupka) will sie glücklich machen, kämpft aber verzweifelt mit seiner Homosexualität – wie er sich gefühlvoll im Solo „Ein besserer Mensch“ eingesteht.

Isabel Waltsgott hat als naive, kesse ‚Eva‘ klare Ansprüche an Ihren zukünftigen Ehemann und verfolgt ihr Ziel entsprechend, was für ein unterhaltsames Zusammenspiel mit Holger Hauer als intellektuellem ‚Professor Fassbender‘ sorgt.