Der letzte Besuch der alten Dame

Am 29. Juni 2014 feiert der Musical-Thriller DER BESUCH DER ALTEN DAME im Wiener Ronacher seine Dernière (letzte Aufführung) . Zu diesem Anlass haben wir uns nochmals das Musical besucht. Außerdem konnten wir einige der Hauptcharaktere interviewen.

Im Vergleich zur Premiere am 19. Februar 2014 hat sich das Musical deutlich weiter entwickelt. Die Darsteller wirken viel routinierter, wobei teilweise auch der Eindruck entsteht, es sei langsam die Luft draußen. Zur Premiere waren viele Szenen noch strikter. Eigene Interpretationen der Darsteller lassen die Regieanweisungen teilweise verschwimmen, wodurch der Biss in manchen Passagen fehlt. Hier zeigt sich sehr deutlich wie schwer es ist, täglich, wie am Fließband, eine Show nach der anderen zu spielen. Dennoch bleibt das Musical qualitativ hochwertig. Vor allem der massive Klangkörper des Orchesters begeistert immer wieder.

Bereits vor einigen Wochen wurde die Original Vienna Cast CD als Live-Gesamtaufnahme präsentiert. Wir haben bereits in die CD gehört und hier kann man mehr zur CD erfahren.

Außerdem konnten wir mit einigen Darstellern des Cast Interviews führen.
 

Pia Douwes
 

Unsere Frage:
Ist die Rolle der Claire Zachanassian, denn eine mit der Sie sich identifizieren können?


Pias Antwort:
Ich kann mich mit ihrem Sinn für Gerechtigkeit gut identifizieren. Aber nicht mit den Mitteln, die sie benutzt. Ich schätze außerdem ihr Durchsetzungsvermögen, doch bin ich nicht so kalkuliert wie sie. Kraftvolle Frauen sind wir beide. Doch ihre Rache würde ich, Pia, lieber in Vergebung umsetzen, denn Rache kann einen letztendlich nicht glücklich machen.

Unsere Frage:
Haben Sie selbst Verständnis für das was Claire in DER BESUCH DER ALTEN DAME macht?


Pias Antwort:
Wenn einem soviel Leid zugefügt wurde, verstehe ich, dass man sich nach Gerechtigkeit sehnt. Ich frage mich manchmal auch, ob sie mit ihrem unmoralischen Angebot nur ein Zeichen setzen will, oder es tatsächlich durchziehen will. Es gibt verschiedene Interpretationen dieses Stücks und das finde ich spannend. Denn alles wäre möglich. Ich lasse es für mich offen und das Publikum ist frei in seiner Interpretation.

Unsere Frage:
Vom Thunersee nach Wien. Was hat sich verändert und was sind die Vorzüge an der Produktion im Theater?


Pias Antwort:
Die Grundlage dieses Stückes hat sich nicht geändert. Es sind aber neue Songs bzw. Szenen hinzugefügt worden um das Stück noch runder zu machen. In Thun war die Kulisse mit der Jungfrau Joch, dem Mönch sowie dem Eiger im Hintergrund natürlich einzigartig! Das kann man nicht ersetzen. Daher hatten wir ein sparsames Bühnenbild, was das ganze offener und abstrakter gemacht hat. Dafür sind manche Szenen im Theater kraftvoller, weil sie sich einfach in das großartige Bühnenbild einfügen. Auch die Intimität von einem Theater hilft dem Publikum sich besser in die Geschichte hinein zu versetzten. Natürlich bietet ein geschlossener Raum auch für den Klang  ganz andere Voraussetzungen.

Unsere Frage:
Würden Sie privat auch gerne einen Panther haben?


Pias Antwort:
*lacht* Lustige Frage! Ich würde so ein tolles Tier nie als Schoßhündchen haben wollen, weil es in der Natur sein sollte! In Freiheit soll es leben, ohne vorm Aussterben bedroht zu sein.


Uwe Kröger


 

Unsere Frage:
Wie sehr berührt Sie das Stück eigentlich selbst? Muss man nach so vielen Aufführungen selbst mit Verfolgungswahn kämpfen?

Uwes Antwort:
Ich bin ein gerechtigkeitsliebender Mensch. Mobbing und Mitläufertum sind mir ein Gräuel. So gesehen macht mich das Thema des Stückes fertig. Jedoch nehme ich nichts von alldem mit nachhause. Das kann ich Gott sei Dank trennen.

Schauspielerisch ist es jedoch wahnsinnig spannend: Von ahnungslos, feige vor sich hindümpelnd über panische Verfolgungsangst bis hin zur absoluten mentalen Lähmung, die hier im Stück einer Läuterung  nahe kommt. Da kann man alles spielen. Privat macht es mich nachdenklich und stimmt mich traurig, jedoch lässt es mich mein Leben, meine Freunde und meine Entscheidungen im Leben noch mehr genießen.

Unsere Frage:
Haben Sie selbst Verständnis für Claire, die Gerechtigkeit sucht und Alfred Ill dadurch zum Tode verurteilt?


Uwes Antwort:
Nein, ich halte nichts von Rache.  Man kann es nach 30 Jahren auch nicht als Affekthandlung oder Notfall bezeichnen. Ihr eiskaltes Kalkül und ihr hinterlistiger Plan fallen ihr ja auch am Ende auf den Kopf. Das Gegenteil von Liebe ist nicht Rache, sondern Gleichgültigkeit. Rache ist eine abnorme Art der Liebe. Eigentlich schade, dass sie das im reifen Alter nicht erkennt. Das Leben eines Menschen als Entschädigung zu verlangen lasse ich mal undiskutiert, da völlig absurd.


















Ethan Freeman


 

Unsere Frage:
Eigentlich scheint die Rolle des Lehrers die Loyalste zu sein. Immer wieder versucht Klaus Brandstetter seine Mitbürger abzuhalten, aus Geldgier zu töten. Ist das denn eine dankbare Rolle? Sind Sie glücklich darüber derjenige zu sein, der, wenn man so will, gegen den Strom schwimmt?


Ethans Antwort
Klaus Brandstetter ist eine zwar kleine, aber sehr dankbare Rolle. Was Schauspieler am meisten schätzen ist eben eine Rolle bei der eine große Entwicklung stattfindet – ein Wandel entsteht. Das ist beim Lehrer definitiv der Fall.

Tragisch ist bei der Rolle, letzten Endes, dass der Lehrer dann doch nicht die Kraft und den Mut hat seine Vision von Menschlichkeit und Humanität durchzusetzen. Für mich steht diese Rolle stellvertretend für alle “kultivierten" Menschen, die in der Nazizeit aus Angst passiv blieben, mitzogen oder sogar ihre Bildung und Kultur benutzt haben um den Wahnsinn voranzutreiben. Daher ist die Rolle im Stück vom Dürrenmatt und im Musical so wichtig.

Unsere Frage:
Gibt es denn eine Szene auf die Sie sich Abend für Abend freuen?

Ethans Anwort:
Natürlich freue ich mich den “Besoffenen” zu spielen. Das macht total Spaß!


Masha Karell
 

Unsere Frage:
Liebe schmerzt oft. Aber zu erfahren, dass der Mann, den man immer geliebt hat, einen nur des Geldes wegen geheiratet hat, ist dann doch wohl ein starkes Stück. Wie sehr schlüpfen Sie in die Rolle der Mathilde Ill? Wie sehr berührt Sie die Geschichte privat?


Mashas Antwort:
Es ist meine Aufgabe als Schauspielerin mich der Figur zur Verfügung zu stellen. Dazu gehört, dass ich mir die psychologischen Aspekte dieses Menschen ansehe. Welche Faktoren spielen eine Rolle, was hat sie erlebt, wie ist ihr Umfeld, wie war ihre Vergangenheit, was sind ihre Erwartungen und Träume, … ? All das hilft für die Annäherung und macht es im Endeffekt leicht in die Rolle zu schlüpfen.

Unsere Frage:
Können Sie nachvollziehen, dass Mathilde und Alfreds Kinder sehr schnell die Seite wechseln und auch so gut wie ohne Überlegung für Alfreds Tod abstimmen?

Mashas Antwort:
Der springende Punkt ist, wie verhalten sich Menschen in Extremsituationen, wenn sie unter sozialem Druck stehen. Sicherlich spielt Angst hier auch eine große Rolle. Natürlich ist das für viele Menschen schwer nachzuvollziehen, aber wir kennen dieses Thema aus der Geschichte und das ist genau die Kernfrage, die Dürrenmatt  aufgegriffen hat. Im Stück heißt es ja auch: „Menschen sind zu allem fähig“ .


Hans Neblung


 

Unsere Frage:
Matthias Richter ist der Erste der offen ausspricht, was sich wohl viele denken. Das Geld könnte man gut gebrauchen. Es wäre so einfach. Können Sie eine solche Überlegung nachvollziehen? Vor allem, wenn man bedenkt, dass auch Matthias selbst nicht ganz Unschuldig im Fall Claire ist?


Als Privatperson bin ich in puncto "Geld für Leben" ambivalent. Natürlich ist es als humanistisch geprägter Mensch einfach zu sagen, nein, das ist moralisch verwerflich, aber ich habe nie die Erfahrung von wirklicher existenzieller Not erlebt. Ich weiß nicht, wenn ich meine Kinder nicht mehr ernähren könnte, wie ich dann diese Frage beantworten würde. Sollen lieber alle draufgehen anstatt "nur" einer??

Natürlich hat Matthias durch seinen Meineid eine Mitschuld im Fall Claire, ohne Frage, aber letztlich hat die jeder in Güllen, denn niemand hat ihr während des Prozesses beigestanden, hat für sie Partei ergriffen.

Im Stück allerdings lindern die Güllener ihre vermeintliche Not hauptsächlich durch den Erwerb von Konsumgütern. Daraus ergibt sich für mich die Fragestellung, ob wir in Europa nicht Not ganz anders definieren als z.B. Menschen in Zentralafrika? Lag denn wirklich eine Situation "Leben für Leben" in Güllen vor? Oder wurde Alfred nicht Opfer eines Wirtschaftssystems, dass für den Konsum auch nicht vor Mord zurückschreckt? Schützen wir nicht heute in Europa durch das Abschotten unserer Grenzen einzig und allein unsere Konsumoase und nehmen dafür den Tod anderer (z.B. in Afrika) in kauf? Weil wir z.B. mit Biosprit herumfahren wollen, haben sich weltweit die Maispreise mehr als verdoppelt und wenn dann die Menschen, die sich nun überhaupt keinen Mais mehr leisten können, herkommen wollen, machen wir einfache die Grenzen zu.

Also, da gibt es viele Beispiele, die keinen von uns heute auslassen. Das ist für mich das wirklich gewichtige an diesem Stück. Güllen ist überall!


Für all jene, die das Musical noch nicht sehen konnten, gibt es noch bis Ende des Monats die Möglichkeit die Chance zu ergreifen. Einen Besuch ist das Stück definitiv Wert.

Medien

Zugeordnete Datensätze

BezeichnungAufgabe / Typ
Der Besuch der alten DameMusical
Der letzte Besuch der alten Dame

Der letzte Besuch der alten Dame

11.06.2014
Bericht, Österreich